Zwei Wörther Sagen
von Ludwig Schindler
Die Sage vom Kreuzigungsbild in der Schlosskirche Wörth
In der Martinskirche des Wörther Schlosses hängt ein Kreuzigungsbild. In seiner Inschrifttafel, die über dem Haupte des Erlösers angebracht ist, fehlen die Initialen. An diese Besonderheit knüpft sich folgende Sage:
Vor Zeiten lebte ein Maler, jung, ehrgeizig, ruhmsüchtig, aber mit geringer Begabung fur seinen Beruf. Groll und Neid auf andere Künstler wucherten darob in seinem unruhvollen Herzen.
Wieder fand er eines Nachts keinen Schlaf, und so eilte er, sein Geschick verwünschend, in den finsteren Wald. Da nahte eine unheimliche Gestalt: ein übergroßer Jäger schritt durch das Dunkel daher. "Was ist zu dieser Stund im Tann dein Begehr? Den Hirsch, das Reh zu jagen ist ohne Speer und Bogen, noch ohne Rüden nimmer ein Jäger ausgezogen. Willst du nach Schätzen graben, so vermiß ich das Werkgerät." "Nicht Jagdlust oder Gier nach Gold trieben mich zu solch ungewöhnlicher Stunde heraus. Daß mir, wie anderen Meistern, kein gutes Bild gelingt, daß ich es nicht zu Ruhm, Preis und Ansehen bringe, macht mich ruhelos." "Nun", finster spricht's der Jäger, "die Kunst könnt ich dich lehren, gegen gering Entgelt freilich. Verschreib du mir deine Seele, und du wirst der größte Meister allerwegen sein. Die Seele ist ja nur ein Schatten, flüchtig wie die Luft, und sie vergeht, wenn du hinuntersinkst in die Gruft." "So sei es", entschlossen willigt der junge Ehrgeizling ein, "gelingt mir durch deine Hilfe auch nur ein meisterwürdiges Bild, und ist es vollendet in allen Stücken, so gehört Dir meine Seele, fest will ich's dann verbriefen."
Wirre Gedanken im Kopf, das Gemüt bedrückt wie nach schwerem Traum, ein schales Gefühl der Verlassenheit, so erhob sich der Maler am Morgen nach jener unheilvollen Nacht. Und dennoch: es überkam ihn Schaffensfreude, es drängte ihn zum Malen. Für ein Kloster sollte er schon seit geraumer Zeit den Herrn am Kreuze malen. Doch, was sich der Geist geschaffen, die Hand vermochte es nie zu gestalten. Anders war es nun auf einmal. Ohne Zagen, mit stolzem Mut ging er ans Werk. Und er fühlte es, und bald war es zu sehen: das Bild gelang. Je näher es aber der Vollendung entgegenging, desto einsilbiger wurde der Maler. Zentnerschwer lagen Angst und Sorge auf seiner Seele. Zuweilen beschlich ihn Verzweiflung. So fand ihn ein Mönch jenes Klosters, das den Auftrag für das Kreuzigungsbild gegeben. Ihm vertraute sich der Unglückselige an. Und der Ordensmann wußte guten Rat: "Laß die Inschrift weg, unvollendet ist dann das Bild, und der Böse hat keine Macht über dich."
Wie von einem Alp befreit atmete der Maler auf. Und statt Streben nach irdischen Gütern und vergänglichem Ruhm, suchte er des stillen Klosters Frieden.
Der versetzte Grenzstein
Von Sagen, Grusel- und Geistergeschichten umwoben ist die Gegend am Unterlauf des Wellerbaches, im Volksmund "Schinderbachl" genannt. Dort, auf halber Strecke zwischen Wörth und Tiefenthal, stand auf einer Anhöhe östlich des Baches der Wörther Galgen.
Wenn man dort des Nachts vorbeiging, konnte man einen Mann sehen, der einen Grenzstein auf dem Rücken trug und immerzu fragte: "Wo soll ich ihn denn hintun?" Aber niemand getraute sich, ihm Antwort zu geben.
Einmal kam zu mitternächtlicher Stunde ein junger Wanderbursche des Weges. Er sah die Gestalt mit dem Marktstein undvernahm die Frage: " Wo soll ich ihn denn hintun?" Beherzt gab der Bursche Antwort: " Wo du ihn genommen hast!" Da warf der Mann den Stein weg und rief: "Gott sei Dank, jetzt bin ich erlöst!" Daraufhin verschwand er und ward nimmermehr gesehen.
Überlieferung von Fräulein Ottilie Schütz, Oberlehrerin +, nacherzählt von Ludwig Schindler